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Was ist Lohngerechtigkeit? Interview mit Henrike von Platen

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Birgit Wetjen

Autorin

22. Januar 2019

Frauen verdienen weniger als Männer. Für Lohngerechtigkeit braucht es Transparenz und faire Kriterien für Gehälter, so Henrike von Platen.

herMoney: Frau von Platen, Sie machen sich für gerechte Löhne stark – aber was ist überhaupt Lohngerechtigkeit?

Das ist eine sehr gute Frage! Von Kindern hören wir sehr oft: „Das ist nicht gerecht!“. Gemeint ist damit meistens, dass eine mehr und der andere weniger bekommt und dass diese Verteilung als unfair erlebt wird. Tatsächlich fällt es uns leichter, uns mit weniger zufrieden zu geben, solange wir das gerecht finden. Wenn wir uns hingegen unfair behandelt fühlen, ist Schluss. Kinder verzichten sogar lieber ganz auf Süßigkeiten, als sich mit weniger Bonbons zufrieden zu geben als andere bekommen.

Geht es Ihnen beim Thema Gerechtigkeit um die unterschiedliche Bezahlung von Männern und Frauen, um Unterschiede zwischen einzelnen Branchen, Tätigkeiten oder Ländern?

Da mache ich keinen Unterschied. Mein persönliches Ziel und auch der Zweck des von mir gegründeten FPI Fair Pay Innovation Lab ist Lohngerechtigkeit für alle!

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Und wie ist das bei der unterschiedlichen Bezahlung von Männern und Frauen?

Um gerechte Bezahlung hinzubekommen, benötigen wir zweierlei: mehr Transparenz und eine andere Wertschätzung von Arbeit. Das Dilemma ist, dass wir erstens nicht gern über Geld sprechen und zweitens Arbeit nicht gleich wertschätzen. Wer sich um die Pflege alter Menschen kümmert, kann oft kaum selbst von seinem Einkommen leben.

Verdienen unterschiedliche Arbeiten denn zwingend gleiche Wertschätzung?

Ja, denn es geht um gleiches Geld für gleiche und gleichwertige Arbeit!

Typisch weibliche Berufe werden aber in der Regel schlechter bezahlt als typisch männliche. Vielen ist es gar nicht bewusst, wie schlecht einzelne Tätigkeiten vergütet werden, obwohl sie für die Gesellschaft so extrem wichtig sind.

In einer Marktwirtschaft bestimmen Angebot und Nachfrage den Preis. Müssten Altenpflegerinnen dann nicht super gut verdienen – schließlich ist die Nachfrage groß und das Angebot knapp?

Das ist richtig und ein enormes Problem – der Markt reguliert sich eben nicht selbst. Aber nicht nur die Politik und die Unternehmen müssen hier tätig werden, sondern jede und jeder Einzelne. Die meisten denken kaum darüber nach, welchen Einfluss sie selbst auf den Markt haben. Angefangen beim Friseurbesuch: Ich kann fünf oder fünfzig Euro für einen Haarschnitt bezahlen. Und ich kann mir überlegen, ob ich der Meinung bin, dass jemand von den fünf Euro leben kann oder nicht.

Das heißt, Sie möchten nicht die Politik, sondern den Kunden selbst in die Verantwortung nehmen?

Wir alle haben die Macht der Entscheidung. Immerhin besteht der Markt aus Kundinnen und Kunden, die etwas kaufen. Solange wir alle nur rosa Sachen kaufen, wird uns auch nur rosa angeboten. Solange wir nicht wahrhaben wollen, welche Macht wir haben und diese nicht ausüben wollen, wird sich der Markt nicht ändern.

Bleiben wir beim Beispiel Friseur: Nicht jeder kann sich einen teuren Haarschnitt leisten. Sind es am Ende nicht die Falschen, die dann für „Gerechtigkeit“ zahlen?

Tatsächlich ist es oftmals so, dass die, die es sich am wenigsten leisten können, also Menschen mit kleinen Gehältern, mehr Geld für bestimmte Leistungen ausgeben, weil sie sie wertschätzen. Und Menschen, die mehr Geld haben, sind eher geizig. Natürlich ist das extreme Schwarz-Weiß-Malerei. Aber ich bin überzeugt, dass Geiz nicht geil ist und wir alle sehr viel Spielraum haben, um den Markt zu verändern.

Sie sind Chefin eines Unternehmens, wie bezahlen Sie Ihre Mitarbeiter? 

Als Chefin versuche ich selbstverständlich, genauso fair zu bezahlen wie ich es von anderen erwarte. Jedes Unternehmen braucht ein Regelwerk, das transparent ist und das alle verstehen. Unser Gehaltssystem ist nicht nur unseren Mitarbeitenden bekannt und für alle verständlich, unser Online-Gehaltsrechner ist auch für alle öffentlich auf unserer Website einsehbar.

Wie sind die Regeln entstanden? Auf welcher Grundlage?

Wir haben ja von Haus aus sehr viel Expertise, was Gehaltsstrukturen und Entgeltkriterien angeht. Und wir haben uns sehr genau angesehen, wie es andere machen und uns an Firmen wie Buffer orientiert, einem Software-Unternehmen, das alle Gehälter samt der Kriterien für deren Berechnung transparent macht

Unterscheiden sich Ihre Kriterien von klassischen Kriterien wie Ausbildung, Verantwortung und Erfahrung?

Die Berufserfahrung ist bei uns kein Gehaltsbestandteil. Wer bei uns anfängt, startet auf einem bestimmten Gehaltsniveau. Natürlich erfolgt die Einstufung auch über Erfahrung, aber die Konditionen auf einem Jobtitel sind beim Einstieg für alle gleich. Ich fange also immer mit null Erfahrung an und sammele dann über Projekte im Unternehmen Erfahrungspunkte. Das Gehalt entwickelt sich aber beispielsweise auch, indem ich Verantwortung übernehme.

Ist Ihr System „gerecht“?

Es ist auf jeden Fall gerechter als klassische Vergütungssysteme, aber wir entwickeln es seit unserer Gründung vor knapp zwei Jahren ständig weiter. Wir überprüfen also immer wieder neu, ob wir es noch besser machen können.

Was hat Sie motiviert, sich mit fairen Löhnen zu beschäftigen? Und was ist Ihr Ziel?

Geld ist der Schlüssel zur Gleichstellung, so wie es vor 100 Jahren das Frauenwahlrecht und 1976 die Familienrechtsnovelle war. Seit 100 Jahren können Frauen wählen und politisch Einfluss nehmen – aber noch immer verdienen sie signifikant weniger als Männer. Mein Ziel ist Lohngerechtigkeit für alle Menschen. Denn Geld bedeutet Macht, und wirtschaftliche Unabhängigkeit bedeutet Freiheit.

Ist die ungleiche Bezahlung ein individuelles oder strukturelles Problem?

Ungleiche Bezahlung ist keine Privatsache, sondern eine strukturelle Ungerechtigkeit. Dieser Fehler im System gehört endlich abgeschafft. Es ist ja sogar so, dass es sich negativ auf die Bezahlung von Berufen auswirkt, wenn sie überwiegend von Frauen ausgeübt werden. Wenn hochangesehene Berufe, in denen früher ausschließlich Männer arbeiteten, von Frauen übernommen werden, kippen die Gehälter. Das ist absurd.

Und wie sieht es aus, wenn Männer und Frauen die gleichen Jobs machen?

Dann kommen ganz andere Faktoren ins Spiel, etwa Erwerbsbiografien mit Unterbrechungen, Teilzeittätigkeiten oder damit einhergehend mangelnde Aufstiegschancen.

Wie wollen Sie das ändern?

Indem wir zeigen, dass es anders geht! Beim Chemiekonzern Evonik werden Frauen seit Kurzem nach der Rückkehr aus der Elternzeit automatisch hochgestuft. Das ist ein extrem kluger Schachzug: Es verhindert nicht nur das Auseinanderklaffen der Gehälter im Berufslebensverlauf. Es entkräftigt auch wirkungsvoll das Argument vieler Männer, sie könnten sich eine längere Elternzeit gar nicht leisten. Noch sind solche Regelungen eher die Ausnahme als die Regel. Aber wir arbeiten daran, das zu ändern. Besonders offen für fairere Strukturen sind übrigens oft Unternehmer, die selbst gut ausgebildete Töchter haben.

Ist eine faire Entlohnung denn noch immer abhängig vom Goodwill eines Unternehmers?

Zum Glück gibt die Politik einen immer klareren Kurs vor. Gesetzliche Vorgaben funktionieren, Selbstverpflichtung eher nicht, das sehen wir an der Quote. Lohngerechtigkeit steht immer mehr im Fokus der Öffentlichkeit und rückt auf der Agenda der Unternehmen immer weiter nach oben, wo Gleichstellung längst zum Business Case geworden ist. Das ist eine sehr gute Entwicklung.

Der Gender-Pay-Gap ist mit 21 Prozent in Deutschland größer als im Schnitt der EU (16 Prozent). Hilft das Entgelttransparenzgesetz dabei, die Lücke zu schließen?

Es ist ein sehr guter erster Schritt in die richtige Richtung. Nur verändert ein Gesetz allein die Realität nicht, es muss auch genutzt werden. Interessanterweise sind es oft Männer, die wissen wollen, was die Kollegen verdienen und den Auskunftsanspruch für Beschäftigte nutzen. Und ein niedriger Gender Pay Gap bedeutet noch längst nicht, dass alles in Ordnung ist. Dass Italien einen der niedrigsten Gender Pay Gaps hat, liegt daran, dass Frauen nach der Familiengründung komplett vom Arbeitsmarkt verschwinden und in keiner Statistik mehr auftauchen. Die Bezahlung muss immer in Relation zur Arbeitsmarktbeteiligung gesehen werden.

Was können Frauen tun, um ihre Situation zu verbessern?

Über Geld reden. Den Auskunftsanspruch nutzen. Sich der Konsequenzen ihrer beruflichen und finanziellen Entscheidungen bewusst werden. Und vor allem: Verantwortung übernehmen. Von allein wird ziemlich sicher nichts passieren.

Frau von Platen, wir danken Ihnen für das Gespräch!

 

Henrike-von-Platen_Fotograf-Oliver-Betke_printÜber Henrike von Platen:

Henrike von Platen gründete 2017 das FPI Fair Pay Innovation Lab, das Unternehmen bei der praktischen Umsetzung nachhaltiger Entgeltstrategien unterstützt. Die Finanzexpertin war von 2010 bis 2016 Präsidentin der Business and Professional Women Germany, gründete einen Fraueninvestmentclub, ist Hochschulrätin an der Hochschule München und engagiert sich im Arbeitskreis deutscher Aufsichtsrat e.V. sowie bei FidAR, der Initiative für Frauen in die Aufsichtsräte. Ihr Ziel: Lohngerechtigkeit für alle.

© Oliver Betke

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Birgit Wetjen

Autorin

Birgit Wetjen ist Volkswirtin, Finanzjournalistin und Buchautorin. Sie ist überzeugt: Geldanlage ist nicht weiblich oder männlich – aber Frauen haben Berührungsängste und gehen anders an Geldthemen ran.